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Foto: Wolfgang Rhein, Gründer und Geschäftsführer der Rhein S.Q.M. GmbH, ist gefragter Qualitätsmanagement-Experte.
Erschienen am 30.03.2015 um 11:50 Uhr
Wolfgang Rhein, Geschäftsführer der Organisations- und Qualitätsmanagementberatung Rhein S.Q.M. GmbH in Ludwigshafen hält es daher für kritisch, dass nach seiner Beobachtung bislang kaum jemand weiß, wie man die neuen Anforderungen in der Praxis umsetzt - weder auf Organisations- oder Beraterseite noch bei den Zertifizierungsgesellschaften und ihren Auditoren. Er beantwortet an dieser Stelle Fragen zu den Änderungen, die die Revision mit sich bringt, und gibt Empfehlungen, wie sich Organisationen darauf vorbereiten können.
Redaktion:
Herr Rhein, können Sie uns zunächst kurz erklären, wen die Revision der wohl bekanntesten ISO-Norm überhaupt betrifft?
Wolfgang Rhein, Rhein S.Q.M. GmbH:
Die ISO 9001 kommt weltweit flächendeckend zum Einsatz und definiert branchenunabhängig die Anforderungen an ein Qualitätsmanagementsystem. Deshalb gibt es naturgemäß sehr viele Organisationen, die sich strategisch dazu entschlossen haben, sich nach diesem Standard zertifizieren zu lassen, oder deren Kunden die Zertifizierung vertraglich voraussetzen. Die sind nun alle von der Revision betroffen. Und zwar spätestens nach Ablauf der dreijährigen Übergangsfrist, optimalerweise jedoch in dem Moment, in dem jeweils die nächste Rezertifizierung stattfindet.
Redaktion:
Es handelt sich ja nicht um die erste Revision der ISO 9001. Was ist dieses Mal anders?
Wolfgang Rhein, Rhein S.Q.M. GmbH:
Im Vergleich zu der jetzt anstehenden Überarbeitung mutet die 2008er-Revision wie eine kleinere Rechtschreibkorrektur an. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass die ISO 9001:2015 der größte Wurf seit der Jahrtausendwende ist, was Normen für Managementsysteme angeht. Und ich will gleich vorwegnehmen: Ich halte sie für eine gute Norm. Und zwar deshalb, weil es ihr im Kern darum geht, die Zukunftsfähigkeit einer Organisation zu sichern. Dafür stellt sie unter anderem die Risikosituation in den Mittelpunkt und fordert als zentralen Bestandteil risikobasiertes Denken ein.
Redaktion:
Auch die bisherige Norm enthält doch bereits die recht konkrete Verpflichtung, notwendige Vorbeugungsmaßnahmen zur Risikoabsicherung zu treffen?
Wolfgang Rhein, Rhein S.Q.M. GmbH:
Ja, das stimmt. Allerdings haben diese Vorbeugungsmaßnahmen nichts mit dem ganzheitlichen Ansatz des risikobasierten Denkens zu tun, der jetzt gefordert ist. In der ISO 9001:2008 ist das Vorbeugen rein auf die Sicherung von Kundenzufriedenheit und die Vermeidung von Kundengefährdungen beschränkt, weil einfach auch der Kunde und dessen Zufriedenheit und Sicherheit im Hauptfokus stehen. Das Risikomanagement, wie es sich aus der 2015er-Revision ableitet, macht es erforderlich, nicht nur den Kunden zu betrachten, sondern die Erwartungen und Anforderungen aller Stakeholder zu ermitteln. Und zu den relevanten Interessensgruppen gehören eben beispielsweise auch Mitarbeiter, Eigentümer, Lieferanten, Banken und Versicherungen, aber auch der Staat und die Gesellschaft als Ganzes. Konkret bedeutet das, dass man künftig nicht mehr nur Produktrisiken durch mangelnde Produktqualität im Herstellungsprozess ermitteln, sondern beispielsweise auch das Risiko, das der demografische Wandel in Bezug auf das vorhandene Wissen in der Organisation mit sich bringt, bewerten und absichern muss.
Redaktion:
Welche weiteren substanziellen Änderungen hält die neue Norm über das risikobasierte Denken hinaus bereit?
Wolfgang Rhein, Rhein S.Q.M. GmbH:
Ebenfalls gravierende Auswirkungen hat die Anforderung, Prozesskennzahlen festzulegen, mit deren Hilfe definierte Prozesse in der Organisation nach Effektivität und Effizienz bewertet werden können. Nach der aktuellen Version war es ausreichend, messbare Ziele zu definieren. Zumindest wurde es flächendeckend so interpretiert. Jetzt braucht eine nach ISO 9001:2015 zertifizierte Organisation ein Programm, in dem die Maßnahmen zur Umsetzung der Ziele definiert werden. Eine Art Aktionsliste legt also quasi fest, wer was warum bis wann und mit welchem Effekt tun muss, um die Ziele zu erreichen. So wie es beispielsweise im Umweltmanagement schon gefordert war, müssen Budgetierungen die Programme "greifbar" machen. Die Prozesskennzahlen – und hier schließt sich der Kreis wieder – spiegeln dann stets den aktuellen Zielerreichungsgrad wieder.
Der neu unter dem Begriff "Dokumentierte Informationen" verankerte Punkt stellt ebenfalls eine Herausforderung für die Organisationen dar. Denn die Anforderungen der neuen Norm gehen weit über die bislang geforderte "Lenkung von Dokumenten" und "Lenkung von Aufzeichnungen" hinaus. Und letztendlich werden uns die Anforderungen beschäftigen, die an ein Wissensmanagement in der Organisation gestellt werden. Erstmals wird die Überschrift "Wissen der Organisation" in der Norm verankert und gefordert, dass Organisationen sicherstellen, Wissen aus der Vergangenheit aufrechtzuerhalten und in ausreichendem Umfang zu vermitteln.
Redaktion:
Das, was Sie bisher geschildert haben, wird teilweise ganz neue Lösungsansätze erfordern. Gibt es auch weniger einschneidende Änderungen?
Wolfgang Rhein, Rhein S.Q.M. GmbH:
Einige rein formelle Änderungen gibt es natürlich auch. Aber auch die zielen letzten Endes alle darauf ab, dass das Qualitätsmanagement in den Organisationen sauberer durchdacht und konzipiert werden muss und das Management in eine größere Verantwortung für das Thema gezwungen wird. Das geschieht beispielsweise auch dadurch, dass ein "Beauftragter der obersten Leitung", allgemein als Qualitätsmanagement-Beauftragter (QMB) bekannt, von der Norm nicht mehr explizit gefordert wird. Damit steigt automatisch die Verantwortung des Managements für das QM-System, das im Übrigen nach meiner Auffassung sowieso immer auf oberster Ebene angesiedelt sein sollte. Dass künftig das Qualitätsmanagement-Handbuch (QMH) entfallen kann, halte ich für einen richtigen Schritt in Richtung "mehr denken und konzeptionieren, intelligenter, praxisbezogener und kürzer dokumentieren." Denn gerade das QMH hatte nach der formal nötigen Ersterstellung in der Praxis fürs operative Tagesgeschäft kaum noch Bedeutung.
Redaktion:
Die ISO 9001:2015 soll nach heutigem Stand der Planung im September 2015 erscheinen. Wann ist der optimale Zeitpunkt, sich damit näher auseinanderzusetzen?
Wolfgang Rhein, Rhein S.Q.M. GmbH:
Ich empfehle, sich in jedem Fall frühzeitig Gedanken zu machen, das heißt im Idealfall ein dreiviertel Jahr bis ein Jahr vor der anstehenden Rezertifizierung. Und auch wenn es für die Umsetzung der Norm eine dreijährige Übergangsfrist bis September 2018 geben wird, sollten sich Organisationen, bei denen die Rezertifizierung ab Oktober 2015 stattfindet, gleich nach neuer Norm zertifizieren lassen. Das spart bares Geld, weil dann innerhalb eines Zertifizierungszyklus schlicht eine Verdoppelung der kompletten Dokumentenprüfung und der damit verbundenen Kosten entfällt. Allerdings heißt das für manche Organisationen natürlich auch, dass man in Anbetracht der verbleibenden Zeit bis zum Herbst schnellstmöglich mit der Umstellung beginnen sollte.
Redaktion:
Brauchen alle Organisationen externe Unterstützung bei der Vorbereitung auf die Zertifizierung?
Wolfgang Rhein, Rhein S.Q.M. GmbH:
Nein, natürlich nicht! Wenn schon eigene Lösungsansätze zur Umsetzung der Norm da sind und man es wirtschaftlich ohne einen Berater schafft, sollte man das auch tun! Organisationen, die noch nicht so weit sind, müssen allerdings einkalkulieren, dass die interne Lösung Zeit und Ressourcen kostet. Hier kann ein erstes Konzeptgespräch sinnvoll sein, gefolgt von einer Beratung durch einen Dienstleister, der sich nachweislich schon intensiv mit jeder einzelnen Normforderung und deren Interpretation auseinandergesetzt hat. Es spart nämlich gewaltig Zeit, nicht auf einem leeren Blatt Papier zu beginnen, sondern als Diskussionsgrundlage auf Lösungsideen aufzubauen, die passend zu branchenindividuellen Forderungen schon ausgearbeitet wurden. Das beschleunigt den Lösungsfindungsprozess enorm und man kann schneller in die Umsetzung starten. Ein kompetenter Dienstleister begleitet die Organisation also auf dem Weg zur Zertifizierung und bereitet sie so auf das Audit vor, dass sie es auch besteht. Das kann nachweislich Ressourcen schonen.
Redaktion:
Wie stellen Sie persönlich mit der Rhein S.Q.M. GmbH sicher, dass die Organisationen nach Ihrer Beratung fit fürs Audit sind?
Wolfgang Rhein, Rhein S.Q.M. GmbH:
Zum einen haben alle unsere Berater langjährige Erfahrung mit Qualitätsmanagement – nicht nur nach ISO 9001 - sowie mit angrenzenden Bereichen wie Umwelt-, Energie- und Arbeitsschutz, und dies in verschiedensten Organisationen aus verschiedensten Branchen. Außerdem liegt einer unserer Beratungsschwerpunkte auf der Automobilindustrie. Einige Neuerungen – wie beispielsweise die Anforderungen im Hinblick auf Prozesskennzahlen – sind dort schon lange über andere Normen etabliert. Wir haben hier also nicht nur Umsetzungserfahrung, sondern können vor allem aus der Praxis bestätigen, dass das – richtig konzipiert – in den Organisationen funktioniert. Und nicht zuletzt habe ich mich mit einem großen Teil des Netzwerk-Teams von Rhein S.Q.M. auf Basis des Entwurfs der Revision von August 2014 in einem mehrtägigen Workshop intensiv mit jeder einzelnen Normenforderung auseinandergesetzt und wir haben zu jeder Forderung Lösungsansätze erarbeitet – jeweils auf die unterschiedlichen Branchen zugeschnitten. Die Ergebnisse wurden in einer Art "Werkzeugkoffer mit Empfehlungen" zusammengefasst, und wir bringen sie in die Projekte als Basis mit ein. Wir kommen aber auf gar keinen Fall mit fertigen Lösungen, dazu ist jedes Projekt und vor allem jede Organisation zu einzigartig. Aber wir starten dadurch bei den Organisationen, die wir beraten, nicht bei Null, sondern steigen gleich auf einem recht hohen Niveau ein.
Redaktion:
Seminare zur ISO 9001:2015 schießen gerade wie Pilze aus dem Boden. Ist das für Organisationen, bei denen eine Rezertifizierung ins Haus steht, aus Ihrer Sicht ein sinnvoller Einstieg in das Thema?
Wolfgang Rhein, Rhein S.Q.M. GmbH:
Ich bin hier im Hinblick auf den Nutzen für die Organisation eher kritisch. In den Seminaren findet sich unter den Teilnehmern ein bunter Branchenmix, der bei diesem Thema schlichtweg nicht bereichernd ist, sondern hinderlich mit Blick auf die konkrete Umsetzung nach den Seminaren. Denn im Hinblick auf die ISO 9001:2015 muss man jede Organisation mit ihren Prozessen und Besonderheiten individuell betrachten, um sinnvolle Konzepte zu entwickeln. Vielleicht kommt Ihnen das bekannt vor: Sie fragen Seminarteilnehmer nach Qualität und Inhalten des Seminars und diese antworten, dass es "interessant" war und dass sie "interessante Menschen" kennengelernt haben, jedoch eigentlich immer noch nicht wissen, wie sie das Gehörte nun konkret umsetzen sollen. Effizient geht das eigentlich nur mittels organisationsspezifischer Workshops, nicht mit Seminaren "von der Stange”.
Redaktion:
Als zusammenfassendes Statement: Wie ordnen Sie persönlich die Revision der ISO 9001:2015 ein?
Wolfgang Rhein, Rhein S.Q.M. GmbH:
Den Verfassern ist mit der Revision der ISO 9001 eine Verbesserung der Norm gelungen, die dazu führen wird, dass Organisationen mehr konzeptionell denken und auf eine langfristige Zukunftssicherung hinarbeiten müssen. Die reine Dokumentation um der Dokumentation Willen, hinter der man sich dann auch leicht mal verstecken kann, wird eingedämmt. Die Organisationen müssen sich nun je nach Zeitpunkt der nächsten Rezertifizierung mit den Normforderungen beschäftigen und Lösungsansätze entwickeln. Und da muss, so mein persönlicher Eindruck, momentan erst noch eine gewisse Starre gelöst werden.
Rhein S.Q.M. GmbH
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